Rechtsstaatsaushöhlung (nicht) nur in der Schweiz? Justiz Ein bisschen töten Bei Gender-Delikten gilt die Schuldvermutung.


Ein bisschen töten


Bei Gender-Delikten gilt die Schuldvermutung. Der nicht erbrachte Tatbeweis wird strafmildernd berücksichtigt. Das zeigen die beiden Gerichtsfälle Nock und Allegro.


18.12.2019

Von Alex Baur
Was zwischen Freddy Nock und seiner späteren Ehefrau Ximena nach der Swiss-Award-Gala am 1. März 2013 im Hotelzimmer passierte, wissen nur die beiden Beteiligten. Jahre später, im Zuge einer Kampfscheidung, wird sie behaupten, Nock habe damals versucht, sie umzubringen. Beweise dafür gibt es keine. Tatsache ist: Die angebliche Mordattacke hinderte die heissblütige Südamerikanerin nicht daran, ihren angeblichen Peiniger drei Monate später zu heiraten.

Strafmilderung fürs Gewissen

Wilde Saufgelage und Streitereien gehörten zum Alltag des Promi-Paars, das sich mehrmals trennte und versöhnte. Trotzdem reichte ihre im Zuge des Alimente- und Sorgerechtsstreits gemachte Aussage dem Bezirksgericht in Zofingen AG, um Freddy Nock letzte Woche wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu einer teilbedingten Strafe von dreissig Monaten Gefängnis zu verurteilten. Das milde Strafmass erstaunt. Denn bei einer Tötung gibt es keine Grauzone. Bloss ein bisschen töten geht nicht.
Der Fall Nock ist keine Ausnahme. Ebenfalls letzte Woche verurteilte das Bezirksgericht Siders VS Yves Allegro wegen sexueller Nötigung zu einer bedingten Strafe. Nach einer gemeinsamen Sauftour war der Tennisprofi 2014 mit einer langjährigen Kollegin in einem Hotelbett gelandet. Beide waren derart betrunken, dass sie sich am nächsten Morgen an nichts mehr erinnern konnten.[...]

Nun haben bereits die alten Griechen herausgefunden, dass es in einem zivilisierten Rechtsstaat niemals die Aufgabe eines Angeklagten sein kann, seine Unschuld zu beweisen. Theoretisch gilt das heute noch, aber nicht in der Praxis. Man erkennt es daran, dass eine Einstellungsverfügung oder ein Freispruch in einem Gender-Fall in aller Regel viel aufwendiger, zurückhaltender und sorgfältiger begründet werden als ein Schuldspruch. Sobald eine Frau eine Anzeige erstattet, wird sie automatisch als «Opfer» registriert, was impliziert, dass der Täter bereits feststeht.
Der gap zwischen der reinen Lehre und der gelebten Realität ist ein Tabu, darüber spricht man nicht. Doch im stillen Kämmerlein ist es dem einen oder anderen Richter offenbar doch nicht ganz wohl bei der Sache. Klammheimlich hat sich daher der Strafmilderungsgrund des nicht erbrachten Beweises eingebürgert. Offen räumt das natürlich kein Richter ein.


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